Meine Geschichte

Ich bin Hans Münch, Jahrgang 1949, aufgewachsen in Bremen. Kunst und Musik fast jeglicher Art versetzten mich von klein auf in Verzückung. Glücklicherweise bestärkte mich mein Vater darin, stets meinen Weg zu gehen. So gab ich mein „vernünftiges“ Chemie-Studium nach kurzer Zeit auf und ging nach Köln. Dort studierte ich Fotografie. Mein freiheitsliebender Geist sagte mir, dass Künstler unabhängig bleiben müssen. Ergo machte ich mich als frischgebackener Diplom-Fotoingenieur selbständig.    

 

Ich ließ meine Fantasie von der Leine und begann, meine Ideen zu realisieren. Als einer ersten in Deutschland machte ich Dia-Shows. Und wurde sehr schnell sehr erfolgreich. Ich kreierte riesige Installationen aus Licht und Sound, machte Image-Filme, gestaltete große Events. Die namhaftesten Unternehmen garnierten meine Kundenliste, ich arbeitete mit Größen wie Doldinger und Stockhausen, wurde mehrfach mit State-of-the-Art-Awards ausgezeichnet, war Master of Excellence. Ich war, fürchte ich, ganz schön großkotzig unterwegs und hielt mich für unverwundbar: Ich schwamm ganz oben auf der Welle, hatte ein hervorragendes Gespür für den Markt – was sollte schon schiefgehen?

 

Das Aus kam völlig überraschend. Das Desaster rund um den Space Park, gigantisches Pleiteprojekt der Stadt Bremen, riss 2004 auch meine Firma in den Abgrund. Mir blieb trotz aller Anstrengungen letztlich nur noch, Insolvenz anzumelden und meine Mitarbeiter zu entlassen. Ein äußerst schwerer Schlag. Ich kämpfte paar Jahre im Alleingang weiter – meine Ideen-Quelle sprudelte ja nach wie vor – und ich sah allmählich wieder ein schwaches Lichtlein am düsteren Horizont. Auch privat ging´s bergauf: Charlotte trat in mein Leben (betrachtenswert: charlottes.website!). Wir hatten viele Pläne für gemeinsame Projekte. Aber dann kam alles ganz anders.

 

Im August 2011 hatte ich kurz nach unserer Heirat eine schwere Gehirnblutung, ein Schlaganfall kam hinzu. Die Ärzte machten meiner Frau kaum Hoffnung auf mein Überleben. Sie ließ das in ihrer Verzweiflung nicht gelten, sang mir während meines Komas meine Lieblingssongs vor. Nach drei Wochen kam ich wieder zu mir und begriff überhaupt nichts. Erst recht nicht, dass ich nicht mehr sprechen konnte. Als mir zunehmend klar wurde, dass ich rechtsseitig gelähmt war, weder lesen geschweige denn schreiben konnte, fiel ich in eine tiefe Depression. Aber meine Frau weckte immer wieder meinen Mut – aufgeben war keine Option (es dauerte fast zwei Jahre, bis ich etwas halbwegs Sinnvolles sagen und vier Jahre, bis ich einige Zeilen lesen konnte. Selber schreiben kann ich erst seit 2018 wieder.). Woher sie ihre Kraft nahm, weiß ich bis heute nicht, denn sie stand mit allem alleine da.

 

Drei Jahre nach meiner Erkrankung begann Charlotte damit, von einem Therapie-Rad für mich zu reden. Ich dachte, sie spinnt – ich und behindert! Für mich war sonnenklar, dass ich bald wieder mit meinem Rennrad durch die Gegend rasen würde wie früher. Ich hatte meine neue Realität noch immer nicht erfasst und war stinkwütend: ein Dreirad! Was sollten denn die Leute denken? Dass ich ein Krüppel bin oder was?! Zwei weitere Jahre vergingen, bis ich endlich einsichtig wurde. Heute bin ich dankbar für mein sehr spezielles Gefährt und fahre über 6.000 km pro Jahr (obwohl einem hier im Norden stets ein strammer Wind von vorn entgegenbläst!).

 

Und noch etwas kickte meine Frau an: meine Besinnung darauf, leidenschaftlicher Fotograf zu sein (mehr dazu siehe www.neuer-sinn-des-lebens.de). Als ich noch kaum meine rechte Hand wieder bewegen konnte, unternahm ich erste vorsichtige Versuche, meine Nikon wiederzuentdecken – ich wusste nichts mehr von der Bedienung der Kamera, an Bildbearbeitung war erst recht nicht zu denken. In winzigen Mini-Schrittchen, oftmals sehr entmutigt, tastete ich mich ans Fotografieren heran, was mir doch zeitlebens so wichtig gewesen war.

 

(Der Witz ist: Dadurch, dass ich sozusagen Grundlagenforschung mit meiner Kamera betreiben musste, weiß ich heute viel besser Bescheid über all deren Möglichkeiten und technische Raffinessen als zu meinen professionellen Zeiten!)

 

Als ich mich ein wenig sicherer fühlte, ließ ich mir von einem Schlosser einen Korb aus Edelstahl anfertigen und hinten aufs Dreirad schweißen – groß genug, um mit Stativ und Fotoausrüstung unterwegs sein zu können. Und dann traute ich mich in die Landschaft. Zunächst machte ich Bilder von der Umgebung. Die gerieten erst einmal recht brav, das war mir aber völlig egal. Ich war schon überglücklich, wenn meine rechte Hand mitmachte.

 

Schließlich experimentierte ich zunehmend mit Verfremdungen und Bewegungen. Immer wieder überraschte mich, was dabei an Bildern entstand, ungeplant und absichtslos. Früher schon spielte ich in der Fotografie gern mit künstlerischer Unschärfe und abstrakter Darstellung – meiner Ansicht nach ein wundervolles Stilmittel, um beim Betrachten in weite innere Räume zu entschweben.

 

Heute bin ich das, was ich vom Herzen her immer war: Fotograf im Alleingang. Und Filmer. Nur mir selber verpflichtet. Ohne den Druck, unbedingt etwas auf die Beine zu stellen und zig Mitarbeiter zu versorgen. Weder mir noch sonstwem irgendetwas beweisen müssen.

 

In den vergangenen vier Jahren habe ich sechs Ausstellungen gemacht – das ist doch was! Ist mir wichtig, wieder erfolgreich zu sein? Nein, so wie in meinem alten Leben keinesfalls. Ja, ich war bekannt und gefragt und habe sehr viel Geld verdient. Aber: Je erfolgreicher ich wurde, umso mehr verlor ich mich. So schleichend, dass ich das gar nicht bemerkte. Erst rückblickend, als ich wieder halbwegs klar denken konnte, wurde mir klar: Ich hatte keine Zeit mehr zum Lesen. Ich hatte schon lange aufgehört, mit anderen Musik zu machen. Mir einfach nur mal Ruhe zu gönnen, war für mich gleichbedeutend mit „faul sein“. Ich hatte aufgehört, den Duft des Windes, das Tanzen der Wolken, das Plätschern des Baches und vor allem mich selber wahrzunehmen.

 

„Erfolg“ definiere ich heute für mich so: Ich habe nicht aufgegeben und, vollkommen neu für mich, ich spüre meine Bedürfnisse und folge ihnen. Körperlich geht es mir viel, viel besser als den meisten Betroffenen. Dafür bin ich dankbar. Auch wenn ich bisweilen damit hadere, etwas unsicher auf den Beinen zu sein oder dass meine rechte Seite mir nicht so gehorcht, wie ich es gern hätte. Und mich ärgert, dass meine Frau das Gemüse viel schneller schneiden kann als ich! In solchen Momenten sehe ich all das, was nicht mehr geht. Werde manchmal traurig, fühle mich beschämt und nicht mehr heil. Doch wenn mir düster zumute wird, schnappe ich mir meine Nikon, setze mich auf mein prachtvolles Rad, sause in die Natur. Und was meine Kamera und ich dann jedes Mal mit nach Hause bringen, erfreut mein Herz.